Stand 13.08.2020
In Deutschland ist die Zahl der bestätigten Neuinfektionen mit dem Coronavirus erneut um 1.445 gestiegen. Damit handelt es sich seit einigen Tagen um die höchsten Werte seit Anfang Mai. Die Gesamtzahl seit Beginn der Pandemie steigt damit in Deutschland auf 219.964. Die Zahl der Genesen liegt laut Robert Koch Institut (RKI) bei etwa 199.500. 9.211 Personen seien seit Ausbruch der Pandemie in Deutschland verstorben. Damit sind aktuell mindestens 11.253 Personen nachweislich mit dem Virus infiziert.
Befinden wir uns bereits am Anfang einer zweiten Welle?
Nach dem erneuten Anstieg der Corona-Neuinfektionen in Deutschland und vielen weiteren Ländern ist die Sorge vor einer zweiten Infektionswelle in der Bevölkerung stark verbreitet. So sorgt sich laut ARD-Deutschlandtrend die Hälfte der befragten Deutschen davor, dass die Zahl der Infektionen in den kommenden Wochen wieder deutlich steigt. Bei 13 Prozent der Menschen ist diese Sorge demnach sehr groß, bei 37 Prozent groß. Sind diese Sorgen begründet? Und was heißt „zweite Welle“ überhaupt? Darüber herrscht unter Expertinnen und Experten keine Einigkeit.
Nach Einschätzung des Ärzteverbandes Marburger Bund hat die zweite Corona-Welle Deutschland bereits erfasst. Gegenüber der Augsburger Allgemeinen sprach Dr. Susanne Johna, Vorsitzende der Organisation, von einer zweiten flachen Anstiegswelle.
Der Weltärztebund hingegen sieht in den aktuellen Entwicklungen der Sars-CoV-2 Ausbreitung vielmehr eine dauerhafte Infektionswelle. Der Vorstandsvorsitzende Prof. Dr. med. Frank Montgomery warnte im Interview mit Deutschlandfunk vor Leichtsinn in der Corona-Pandemie. Das Problem werde uns noch lange begleiten. Jeder auch nur geringe Anstieg der Infektionszahlen müsse als Alarmsignal benutzt werden, um gegen die Verbreitung des Virus vorzugehen. Denn das Problem des Coronavirus sei die lange Inkubationszeit, so Montgomery.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) äußerte sich gegenüber Deutschlandfunk ebenfalls besorgt über die Entwicklung und verlangte mehr Wachsamkeit. Die derzeitigen Infektionszahlen könne das Gesundheitssystem noch gut bewältigen, meinte der CDU-Politiker. Mit jeder Infektion werde es für die Gesundheitsämter aber schwieriger.
Das RKI und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sehen bisher davon ab, das aktuelle Infektionsgeschehen bereits als zweite Welle zu bezeichnen. Allerdings rechnet die WHO damit, dass das Risiko neuer Infektionen nach dem Ende der Sommerurlaubszeit wieder ansteigt. RKI Präsident Lothar Wieler spricht von einer rasanten Entwicklung der Pandemie.
Auch wenn der Begriff der zweiten Welle also nicht von allen Experten für passend und präzise empfunden wird, so besteht doch Einigkeit darüber, dass sich das Infektionsgeschehen derzeit erneut in eine gefährliche Richtung entwickelt.
Was bedeutet „zweite Welle“ überhaupt?
Dlf-Autor Volkart Wildermuth erinnert in einem Interview bei „Sprechstunde“ daran, woher die Metapher einer zweiten Welle stammt: Auch die spanische Grippe hatte im Frühjahr 1918 zu zahlreichen Todesfällen geführt und verschwand dann scheinbar. Im darauffolgenden Herbst brach die Grippe erneut aus – und forderte nochmal deutlich mehr Todesopfer als während der ersten Infektionswelle.
Zudem wies Wildermuth darauf hin, dass es sich bei dem Begriff „zweite Welle“ keineswegs um einen wissenschaftlich definierten Begriff handele. Für den einen sei jeder Neuanstieg der Fallzahlen eine zweite Welle. Andere würden erst davon sprechen, wenn es zu einer Überforderung der Gesundheitssysteme komme. Das sei aber in Deutschland derzeit nicht der Fall.
Mögliche Ursachen für den erneuten Anstieg
Anders als noch bis Mitte Juni ist der jetzige Anstieg nicht hauptsächlich auf einzelne Brennpunkte zurückzuführen. Auf Landkreisebene sind die Zahlen oft nur leicht gestiegen. Doch über alle Kreise hinweg summiert sich dieser Effekt.
Experten fürchten eine solche Entwicklung, weil sie sich nicht mit einigen wenigen harten Maßnahmen eindämmen lässt. Auch Gesundheitsminister Spahn warnt vor dieser neuen Dynamik, weil es nicht mehr nur lokale Ausbrüche seien. „Hier sehen wir, dass durch Reiserückkehr, aber eben auch durch Partys aller Art und durch Familienfeiern wir an ganz vielen Stellen im Land kleinere und größere Ausbrüche haben“, sagte Spahn im Deutschlandfunk.
Als Ursache für den Anstieg hatte RKI-Präsident Lothar Wieler Nachlässigkeit bei der Einhaltung der Verhaltensregeln genannt. Zu Tausenden wilde Partys zu feiern, sei „rücksichtlos“ und auch „fahrlässig“, meint er. So sei auch im Urlaub vernünftiges Verhalten gefragt. Spahn appelliert daher erneut an die Bürger, die Hygieneregeln einzuhalten, Masken zu tragen, Abstand zu halten und bei Veranstaltungen den Rahmen zu wahren.
Apropos Masken: Stehen erneute Engpässe für medizinisches Fachpersonal bevor?
Die ursprünglichen Engpässe bei der Versorgung mit Schutzmasken konnten nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums inzwischen beseitigt werden. Bei mehreren Kassenärztlichen Vereinigungen seien die Lager voll, sagte ein Sprecher Mitte Juni der Deutschen Presse-Agentur.
Von gut zwei Milliarden Masken, die die Regierung im Ausland gekauft hat, waren zu diesem Zeitpunkt nach Informationen der Zeitung „Die Welt“ rund 600 Millionen in Deutschland eingetroffen. Der Rest solle nach Auskunft des Ministeriums bis zum Herbst angeliefert werden, vor allem aus China.
Gesundheitsminister Spahn habe zudem mit deutschen Unternehmen Vereinbarungen für die Produktion medizinischer Schutzmasken getroffen. Nach einer ersten Ausschreibung wurden Zuschläge an rund 50 Unternehmen erteilt. Damit können ab Mitte August pro Woche zehn Millionen FFP2-Spezialmasken und 40 Millionen OP-Masken hergestellt werden. Das Bundeswirtschaftsministerium hat angekündigt, Firmen bei der Produktion von Schutzmasken finanziell zu unterstützen.
Nach Angaben der Vorsitzenden des Marburger Bundes sind die Krankenhäuser inzwischen auf steigende Covid-19-Patientenzahlen vorbereitet. Anders als bei der ersten Welle sollten Krankenhausbetten diesmal allerdings nicht pauschal, sondern am Bedarf orientiert freigehalten werden, sagte Johna. Die Freihaltung von Betten solle zeitlich gestaffelt werden – entsprechend der Entwicklung des Pandemiegeschehens.
In der Praxis wird nach Angaben des Marburger Bundes in Stufe eins eine geringere Anzahl an Intensivbetten freigehalten. Sind diese belegt, tritt 24 Stunden später Stufe zwei in Kraft und die Kapazitäten in den Intensivstationen werden erweitert. „So geht das Schritt für Schritt weiter, bis man dann in der höchsten Alarm- und Ausbaustufe alle für Covid-19-Patienten verfügbaren Intensivkapazitäten ausschöpft“, sagt Johna. Die Warnung der Ärzte kommt in einer Zeit steigender Neuinfektionen in Deutschland.
Quellen: ARD, Deutschlandfunk