Es sind schockierende Aufnahmen aus einem Berliner Krankenhaus, die es Anfang Januar 2024 in die Schlagzeilen geschafft haben und im Netz viral gingen. Drei junge Männer gehen in der Silvesternacht auf das Klinikpersonal in der Notaufnahme los, schlagen zunächst den Arzt, dann eine Pflegekraft zu Boden. Der Grund: Nach Ansicht der Brüder des Patienten, sei dieser nicht schnell genug behandelt worden.

Gewalt gegen Pflegekräfte – kein unbekanntes Phänomen

Vorfälle wie dieser, wenn Patienten oder deren Angehörige Gewalt gegen Pflegepersonal, andere medizinische Fachkräfte und Ärzte ausüben, sind leider keine Einzelfälle. Neben einiger Kriminalstatistiken in verschiedenen Bundesländern, die das bestätigen, hat auch die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) 2023 hierzu eine Studie über Gewalt und Aggression in den Branchen der BGW veröffentlicht.

Bei der Auswertung von insgesamt 353.857 Arbeitsunfällen zwischen 2018 und 2022 kam man zu dem Ergebnis, dass davon 26.516 Vorfälle im Zusammenhang mit Schreck- und Gewaltvorfällen passierten. Zwar sind in der Statistik auch andere BGW-Berufsgruppen inbegriffen, allerdings entfallen auf Pflegekräfte, weiteres medizinisches Fachpersonal sowie auf Ärzte weit über 50 Prozent der Schreck- und Gewaltvorfälle.

In neun von zehn Fällen habe es sich um körperliche Verletzungen gehandelt, in einem um seelischen Angriff. Diese Art der verbalen Gewalt ist nicht zu unterschätzen. Sie reicht von Beschimpfungen über Erniedrigungen der Arbeit oder der Person bis hin zu Drohungen.

Ferner ist zu beachten, dass nur jene Vorfälle in der Studie gewertet wurden, die zu einem Arbeitsausfall von mindestens drei Tagen geführt haben. Es kann daher von einer deutlich höheren Dunkelziffer von Gewalt gegen Pflegekräfte ausgegangen werden, die in der Studie nicht erfasst wurden, weil sie zu keinem (oder nur kurzem) Arbeitsausfall geführt hat. Oftmals werden Vorfälle auch nicht gemeldet, weil sie als gewöhnlich eingestuft werden oder keinen messbaren Schaden bzw. Verletzungen zur Folge hatten.

Ursachen von Angriffen und Gewalt gegen Pflegepersonal

Egal ob an Silvester wie im Beispielfall in Berlin, an großen Volksfesten und Fasching oder einfach nur an einem ganz gewöhnlichen Wochenende. Oftmals spielt Alkohol eine Rolle bei gewalttätigen Patienten. Das berichtet auch das Ärzteblatt mit Bezug auf einen Vertreter des Marburger Bundes.

Demnach habe das Gewaltpotenzial der Angehörigen von Patienten erheblich zugenommen. Häufig sind Ungeduld und zu lang empfundene Wartezeiten der Auslöser, was zunächst in verbale Gewalt und Bedrohungen führt, bevor auch körperliche Aggression folgt.

Unerheblich davon, ob die Wartezeit in der Notaufnahme tatsächlich länger ist, gepaart mit den Schmerzen der Patienten sowie der Verzweiflung und Sorge deren Angehörigen – Gewalt gegen Pflegekräfte ist inakzeptabel.

Es sind zudem die Auswirkungen der Missstände im Gesundheitssystem, die sich etwa im Personalmangel in überlasteten Notaufnahmen zeigen. Die Pflegekräfte und Ärzte sind dann nicht nur die Speerspitze in der Gesundheitsversorgung, sondern oftmals auch das Schild und bekommen den Frust als erste und am härtesten zu spüren.

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Gewalt gegen Pflegekräfte durch Patienten

Abgesehen von Angehörigen, wird auch von Patienten Gewalt gegen Pflegekräfte ausgeübt. Nicht nur in der Notaufnahme, auch auf Station im Krankenhaus oder in anderen Pflege- und Gesundheitseinrichtungen.

Patienten in Krankenhäusern oder Fachkliniken sowie Pflegebedürftige in pflegerischen Einrichtungen können aufgrund von Angst, Verwirrung oder infolge einer krankheitsbedingten Wesensveränderung Aggressionen gegenüber der Pflegefachkraft zeigen. Die Palette reicht von Anschreien und Beschimpfen über Anspucken oder das Werfen von Gegenständen. Je nach körperlicher Verfassung der Patienten oder Bewohner sind zudem körperliche Gewalt gegen das Pflegepersonal möglich.

Fachkrankenpfleger in der Psychiatrie sind daher einem höheren Risiko ausgesetzt, mit Gewalt und Aggression von Patienten konfrontiert zu sein. Aber auch Altenpfleger sowie Pflegekräfte, die mit Patienten arbeiten, die infolge einer Erkrankung eine starke Wesensveränderung durchlaufen, erleben häufiger Gewalt bei ihrer Berufsausübung.

Des Weiteren gibt es mutwillige Diskriminierung oder Gewalt gegen Pflegekräfte durch Patienten. Etwa durch gezielte Häme und Erniedrigung oder wenn die Pflegefachkraft vom Patienten bzw. Bewohner als Zimmerservice im Hotel behandelt wird. Sexuelle Belästigung oder anzügliche Bemerkungen sind ebenfalls keine Seltenheit mehr und treffen vor allem weibliche Pflegefachkräfte.

Maßnahmen gegen Gewalt in der Pflege: Was können Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen sowie das Pflegepersonal gegen Gewalt unternehmen?

Gewalt muss und soll nicht ausgehalten werden. Pflegekräfte und Einrichtungen sind diesbezüglich in der Pflicht, um sich selbst beziehungsweise ihre Pflegekräfte vor Übergriffen zu schützen. Hierzu sind sowohl präventive Maßnahmen erforderlich als auch Handlungsanweisungen, wie im Fall der Gewalt gegen Pflegepersonal reagiert werden kann und wie die Pflegekräfte im Nachhinein damit umgehen können.

Die BGW unterscheidet bezüglich der Maßnahmen gegen Gewalt in der Pflege in drei Handlungsbereiche, die von den Einrichtungen als auch vom Pflegepersonal zu beachten sind. Diese sind technische und organisatorische Voraussetzungen sowie Vorkehrungen auf personeller Ebene.

Zu den technischen Maßnahmen gegen Gewalt in der Pflege gehören alle Vorkehrungen, die Einrichtungen in ihren Räumlichkeiten treffen können, um ihre Pflegekräfte vor Gewalt durch Patienten oder Bewohner zu schützen.

Technische Maßnahmen gegen Gewalt in der Pflege

  • Behandlungsräume sollten so gestaltet und eingerichtet sein, dass sie dem Pflegepersonal eine Fluchtmöglichkeit bieten.
  • Einrichtungen sollten dem Pflegepersonal Rückzugsräume bieten, wo sie sich im Extremfall in Sicherheit bringen können.
  • Anmeldungen und Stationstheken können mit Sicherheitsglasscheiben ausgestattet werden und somit als sicherer Rückzugsort oder zumindest Barriere dienen, die das Pflegepersonal zwischen sich und potenzielle Angreifer bringen kann.
  • Die Ausstattung der Behandlungsräume mit Panikknöpfen oder die Vergabe von Notsignal-Geräten an die Pflegekräfte garantiert einen schnellen Hilferuf und ein zügiges Eintreffen von Kollegen oder Sicherheitskräften.

Organisatorische Maßnahmen gegen Gewalt in der Pflege

  • Ein funktionierendes Alarmierungssystem sowie in der gesamten Einrichtung geltender und allen Beschäftigten bekannter Notfallplan garantieren einen reibungslosen Ablauf in Gefahrensituationen. Darüber sollten auch regelmäßige Unterweisungen des Pflegepersonals erfolgen.
  • Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen können in Erwägung ziehen, zumindest während der Nachtschichten einen Sicherheitsdienst oder eigenes Sicherheitspersonal zu engagieren.
  • Nach einem Vorfall, bei dem Gewalt gegen Pflegepersonal angewendet wurde, muss den Mitarbeitenden eine Erstbetreuung gewährleistet und auch für die Aufbereitung der Geschehnisse eine Ansprechperson vermittelt werden.
  • Jeder Vorfall von Gewalt gegen Pflegekräfte muss verfolgt und aufgearbeitet werden. Bereits getroffene Vorkehrungen müssen überprüft und gegebenenfalls angepasst werden.

Maßnahmen gegen Gewalt in der Pflege auf personeller Ebene

  • Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen sollten ihrem Pflegepersonal die Teilnahme an Fortbildungen und Schulungen ermöglichen. Dabei kann es sich sowohl um die Vermittlung von Deeskalationstechniken als auch um Kurse zur Selbstverteidigung handeln.
  • Pflegekräfte sollten sich Fachkompetenzen zur Betreuung von Patienten mit spezieller Erkrankung und unberechenbarer Verhaltensweise aneignen, sofern es nicht bereits Teil ihrer Ausbildung war.

Handlungsbedarf in Fällen von Gewalt gegen Pflegepersonal

Es ist wichtig, dass sowohl Pflegekräfte als auch Arbeitgeber Vorkommnisse von Gewalt in der Pflege nicht einfach runterspielen und als Bestandteil der Arbeit betrachten. Die Vorfälle müssen an offizielle Stellen gemeldet und aufgearbeitet werden. Nur so können präventive Handlungskonzepte optimiert und betroffenen Pflegekräften aktiv geholfen werden.

Die Pflegekräfte sind meistens die Leidtragenden und sollten eigentlich nicht in der Handlungspflicht stehen. Zu ihrem eigenen Schutz ist es dennoch ratsam, Weiterbildungsangebote für Deeskalationstechniken, Selbstverteidigung, etc. wahrzunehmen, um in potenziellen Gefahrensituationen angemessen zu handeln und sich dadurch besser schützen zu können. Kommt es zu Gewalt während der Berufsausübung, sollten sie den Vorfall melden und sich beurlauben lassen, um erlebtes zu Verarbeiten – gegebenenfalls unter Inanspruchnahme von professioneller Hilfe.

Einrichtungen müssen die Vorfälle ernst nehmen, sich hinter ihre Pflegekräfte stellen und zuhören. Wenn das Pflegepersonal Vorkommnisse meldet, müssen diese aufgearbeitet werden. Der Arbeitgeber hat einen Schutzauftrag, um für die Sicherheit seiner Pflegekräfte zu sorgen. Andernfalls drohen langfristige Personalausfälle und eine Zuspitzung des Pflegenotstands.

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